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Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung

Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung

 Wird ein Kind misshandelt oder missbraucht, löst das in uns so intensive und vielschichtige Gefühle aus, dass man sie kaum angemessen ausdrücken kann. Vielleicht berührt uns eine solche Gewalttat deshalb so persönlich, weil wir uns noch daran erinnern, wie es war, als wir zum ersten Mal ein eigenes Kind im Arm hielten – an die überwältigende Liebe und den ureigensten elterlichen Instinkt, es zu umsorgen, zu belehren und zu behüten. Es ist erschreckend, beinahe unfassbar, wenn jemand einem Kind Gewalt antut. Es ist die schändlichste Form des Verrats.

Die Gesellschaft formiert sich jedoch, um gegen dieses Übel anzutreten und es auszumerzen. Immer wieder sieht man, wie sich Menschen scharenweise aufmachen, um ein möglicherweise entführtes oder misshandeltes oder missbrauchtes Kind zu finden. Ist auch nur ein einziges Kind in Gefahr, wird landesweit darüber berichtet.

Nicht immer aber waren Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch Gegenstand der landesweiten Berichterstattung. Lange gärte dieses Übel meist unbemerkt unter der Oberfläche und wurde kaum je erwähnt. Doch noch bevor es in den Vereinigten Staaten in den Blickpunkt geriet, brandmarkte Gordon B. Hinckley, ehemaliger Präsident der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch öffentlich als fürchterliches Übel. Anfang der 1980er Jahre fasste er unsere Einstellung zu dem Thema in einer weltweit übertragenen Konferenz zusammen: „Ich bin froh, dass die Öffentlichkeit von diesem schrecklichen Übel immer mehr Notiz nimmt. Kindesmissbrauch und Misshandlung … zur Befriedigung sadistischer Gelüste zählen zu den schwärzesten Sünden.“

Welchen anderen Standpunkt könnte die Kirche denn auch einnehmen? Dieses Problem trifft den Kern der Lehre der Kirche. In den Augen Gottes ist ein kleines Kind unschuldig und kostbar. Jesus Christus verbrachte einige der schönsten Augenblicke seines Lebens mit Kindern. Für diejenigen, die sie misshandeln, hatte er nichts als harte Worte übrig. „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde.“ (Matthäus 18:6.) Zudem steht die Familie in der Kirche im Mittelpunkt. Die Kinder begleiten ihre Eltern zum Gottesdienst. In der Kirche wird ein wöchentlicher Familienabend gepflegt, bei dem alle sonstigen Interessen hintangestellt werden, damit starke Familienbande entstehen können. In der Familie bauen die Eltern einander auf, um ihre Kinder gemeinsam versorgen und behüten zu können. Sie bieten ihnen ein liebevolles, förderliches Umfeld, in dem ihre Kinder aufwachsen und gedeihen können. Die Kirche wiederum ist ein Sammelort für Familien, denen es bei der Kindererziehung auf die Vermittlung geistiger Werte ankommt. Sowohl der Kirche als auch der Familie ist ganz besonders am Wohl der Kinder gelegen.

Dieser Artikel stellt das Thema Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch aus Sicht der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage dar. Was wird dagegen unternommen? Was tut die Kirche für die Opfer? Gab es Prozesse vor Gericht oder Schlichtungsverhandlungen? Wenn ja, wie kam es dazu? Wie geht die Kirche mit Menschen um, die Kinder missbrauchen oder misshandeln? Inwieweit sind die Erfahrungswerte dieser Kirche anders als die anderer religiöser oder weltlicher Einrichtungen? Inwieweit sind sie vergleichbar? Diesen Fragen wird auf den nächsten Seiten nachgegangen.

Der Schutz des Kindes

Die Aufgabe der Kirche im gemeinsamen Kampf gegen Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch besteht darin, sich so viel Wissen wie möglich anzueignen, dem Problem offen zu begegnen und die eigenen Erfahrungen mit Gleichgesinnten auszutauschen.

Wer gilt als Geistlicher?

Die Geistlichen der Kirche sind allesamt Laien. Der Leiter einer Gemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wird Bischof genannt. Er stammt aus den Reihen der örtlichen Mitglieder und dient ehrenamtlich etwa fünf Jahre lang. Meist lebt er schon lange am Ort und zählt die Mitglieder seiner Gemeinde zu seinen Freunden und Nachbarn. Meist hat ein Bischof auch selbst Kinder, die oft noch klein sind, zur Kirche mitkommen und an den Aktivitäten teilnehmen. Ein Bischof ist daher schon grundsätzlich sehr an der Sicherheit und am Wohl seiner Kirchengemeinde interessiert. Bedroht ein Kinderschänder die Sicherheit seiner Gemeinde, besteht für den Bischof keinerlei finanzielle oder sonstige Veranlassung, seine Kirchenfamilie nicht genauso zu beschützen wie seine eigene.

Ein Bischof bezieht weder ein Gehalt noch bekommt er sonstige finanzielle Vergütungen. Er bekleidet als Geistlicher auch keine Sonderstellung. Innerhalb der Kirche gibt es keine geistliche Hierarchie, der er angehört. Ein Bischof der Kirche Jesu Christi ist vielmehr ein normaler Mitbürger, der wie jeder andere seiner Arbeit nachgeht. Da er seinen Amtspflichten hauptsächlich am Wochenende und an den Abenden nachkommen muss, beruft er eine ganze Reihe Gemeindemitglieder dazu, ihm zu helfen.

Der Bischof ist vielleicht Lehrer, Arzt oder Geschäftsmann. Um ihm zu helfen, wird vielleicht ein Bibliothekar berufen, die Sonntagsschulklasse der Sechsjährigen zu unterrichten. Eine Apothekerin leitet vielleicht die Organisation für Kinder im Alter von drei bis elf Jahren. Berufungen wie diese sind vorübergehend und ändern sich häufig. Wer sie aber annimmt, wenn der Bischof ihn darum bittet, von dem wird auch erwartet, dass er den Glaubensgrundsätzen seiner Religion entsprechend lebt, in deren Mittelpunkt die Achtung vor der Familie und selbstverständlich auch vor den Kindern steht.

Was bedeuten Titel?

Einen weiteren wichtigen Aspekt sollten Anwälte, Journalisten und andere, die sich mit Kindesmisshandlung befassen, beachten, was das Laientum der Geistlichen der Kirche betrifft.

Praktisch alle aktiven Mitglieder einer Gemeinde der Kirche Jesu Christi bekleiden eine verantwortungsvolle Stellung, um dem Bischof bei seiner Arbeit zu helfen. Was die geeigneten Männer und Jungen ab dem Alter von 12 Jahren betrifft, so gehören sie alle dem Priestertum der Kirche an. Normalerweise wird ein Junge, der regelmäßig zur Kirche kommt, mit 12 Jahren zum Diakon ordiniert. Mit 14 wird er dann Lehrer und mit 16 Priester. Die erwachsenen Männer werden zum Ältesten oder zum Hohen Priester ordiniert. Diese Ordinierung zum Priestertum allein oder dass man den Titel eines Priesters, Ältesten oder Hohen Priesters trägt, verleiht niemandem irgendwelche Vollmacht in der Gemeinde und macht niemanden zum Führungsbeamten. Die übrigen Mitglieder begegnen dem Betreffenden keineswegs mit besonderer Ehrfurcht oder Hochachtung. Vielmehr bleibt ein Mann Ältester oder Hoher Priester, solange er Mitglied der Kirche ist, ja sogar dann, wenn er sonst jeglichen Kontakt mit ihr abbrechen sollte.

Manchmal erscheinen in der Zeitung Schlagzeilen wie „Führender Mormone des Kindesmissbrauchs angeklagt“. Einige Staatsanwälte wissen sehr wohl, dass die Verwendung von Titeln wie „Hoher Priester“ den Eindruck erweckt, als sei jemand mit großer Vollmacht gesetzbrüchig geworden, was die Schockwirkung bei Geschworenen oder Medienvertretern erhöht. Das entbehrt jedoch jeder Grundlage.

Die Mitglieder sind aufgerufen, Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung entgegenzutreten

Eine Gemeinde der Kirche Jesu Christi ist wie eine große Familie – eine Gruppe Menschen, die zusammenarbeitet, um sich gegenseitig zu unterstützen. Seit langem schon hat die Kirche ihre Mitgliederfamilien aufgerufen, Fälle von Kindesmisshandlung oder Kindesmissbrauch anzusprechen und ein Gespür dafür zu entwickeln, wie man solche Tragödien erkennt und verhindert. Seit 1976 sind in den Veröffentlichungen der Kirche über 50 Mitteilungen und Zeitungsartikel erschienen, in denen Kindesmisshandlung und -missbrauch verurteilt oder die Mitglieder darüber aufgeklärt wurden. Die Führer der Kirche haben das Thema über 30 Mal bei Weltkonferenzen der Kirche angesprochen. Es ist auch Gegenstand einer regelmäßig wiederkehrenden Lektion für die sonntäglichen Versammlungen.

Außerdem hat die Kirche umfangreiches Schulungsmaterial und Videos erstellen lassen. Mit diesem Material werden die Führungsbeamten der Kirche dafür ausgebildet, Misshandlungsfälle zu erkennen und auf sie zu reagieren. An einer Hotline stehen rund um die Uhr professionelle Berater zur Verfügung, die den Führungsbeamten vor Ort individuell raten können, wie im Einzelfall vorzugehen ist.

Zu guter Letzt unternimmt die Kirche schlichtweg alles, um Familien stark zu machen. Zwar muss jeder Einzelne sein Teil tun und jede Institution das Ihre, unterm Strich aber ist eine starke, liebevolle und wachsame Familie der beste Schutz gegen Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch. Der frühere Präsident der Kirche, Gordon B. Hinckley, hat gesagt: „All dies geschieht und wird noch schlimmer, wenn nicht anerkannt wird, ja, wenn es keine felsenfeste Überzeugung davon gibt, dass die Familie ein Werkzeug des Allmächtigen ist. Sie ist von ihm geschaffen. Sie ist die Grundeinheit der Gesellschaft.“

Die Sorge um die Opfer

In manchen kritischen Meldungen wird der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage unterstellt, sie kümmere sich zuletzt um die Opfer. Einige gehen gar so weit zu behaupten, die Kirche strafe die Opfer mit Verachtung, weil sie Führer der Kirche in Verlegenheit gebracht hätten.

Derartige Meldungen stellen den Glauben der Kirche auf den Kopf. Den Opfern zu helfen hat die oberste Priorität. Es liegt im Wesen des Christentums, dass man sich voller Mitgefühl und Liebe denen zuwendet, die nach Missbrauch oder Misshandlung Qualen leiden. Hierin liegt ein Kern unseres geistlichen Dienstes. In der Kirche können die Opfer den geistigen Zuspruch finden, der sie schließlich durch Glauben an Jesus Christus gesunden lässt. Außerdem bekommen Missbrauchsopfer professionelle Beratung angeboten, damit sie unabhängig von ihrer Zahlungsfähigkeit auch den besten fachlichen Rat einholen können.

Im offiziellen Handbuch für die Führungskräfte der Kirche steht, dass in puncto Misshandlung oder Missbrauch die wichtigste Aufgabe der Kirche darin besteht, den Opfern zu helfen und diejenigen zu schützen, die gefährdet sind.

Wie wird das in der Kirche umgesetzt? Seit ihrer Gründung bieten die Konzentration auf die Familie und die Lehren der Kirche Schutz. Darüber hinaus wurde 1995 eine Hotline eingerichtet, damit jeder Bischof sofort einen professionellen Berater anrufen kann, der weiß, wie man Missbrauchsopfer schützt. Ein Bischof mag noch so gut sein – er kann unmöglich all die Zusammenhänge im Fall eines Kindesmissbrauchs erkennen oder über die unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen einzelner Staaten Bescheid wissen. Er kann aber die Hotline anrufen, sobald ein Kind in Gefahr ist. Ein einziger Anruf genügt, um Rat von erfahrenen Fachleuten zu erhalten.

Wenn beispielsweise ein Teenager einen Bischof auf einen Missbrauchsfall aufmerksam macht, ruft dieser zunächst die Hotline an und erfährt dort, wie dem Opfer geholfen und eine Wiederholung vermieden werden kann. Liegt eine Straftat vor, erfährt der Bischof auch, wie er sie den Behörden melden kann. Wir kennen keine andere Kirche, die ihren Geistlichen rund um die Uhr alle Tage des Jahres professionellen Rat für Missbrauchsopfer anbietet.

Funktioniert das? Ja. Zwar ist kein System unfehlbar, aber die Opfer erhalten den Schutz und die Fürsorge, die sie brauchen.

Präsident Gordon B. Hinckley sagte in einem Interview mit Mike Wallace in der CBS-Sendung „60 Minutes“ Folgendes: „Ich mache mir große Sorgen um die Opfer. Mein Herz ist ihnen zugewandt. Ich möchte alles tun, was wir können, um die Schmerzen zu lindern und um zu verhindern, dass dieses Übel passiert. . . . Ich kenne keine Organisation in dieser Welt, die umfangreichere Maßnahmen ergriffen, sich mehr bemüht und mehr getan hat, um dieses Problem in Angriff zu nehmen, um dagegen anzugehen, um etwas zu ändern. Uns ist bewusst, wie schrecklich es ist, und wir wollen unseren Mitgliedern helfen und uns ihrer annehmen.“

Der Umgang mit dem Täter

Einfach ausgedrückt, kennt die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage keinerlei Nachsicht bei Kindesmisshandlung oder Kindesmissbrauch. Besteht der Verdacht auf einen solchen Fall, so sind die Mitglieder von der Kirche angewiesen, zunächst die Behörden zu verständigen und dann Rat und Hilfe bei ihrem Bischof zu suchen. Die Kirche arbeitet bei der Untersuchung von Missbrauchs- oder Misshandlungsfällen mit den Ermittlungsbehörden zusammen, damit die Täter rechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.

Ein des Kindesmissbrauchs oder der Kindesmisshandlung schuldiges Mitglied der Kirche muss sich auch vor Gott verantworten. Präsident Hinckley hat gesagt: „Uns liegt auch der Täter am Herzen, aber die Sünde, derer er sich schuldig gemacht haben mag, können wir nicht dulden. Auf Übertretungen folgt eine Strafe.“ Wer der Kindesmisshandlung oder des Kindesmissbrauchs überführt wird, wird exkommuniziert – die höchste Strafe, die unsere Kirche verhängt. Ein exkommuniziertes Mitglied darf an Versammlungen der Kirche nicht aktiv teilnehmen und in der Gemeinde keinerlei Aufgaben übernehmen.

Kann jemand, der ein Kind missbraucht oder misshandelt hat, der die gesetzliche Strafe für seine Untat verbüßt hat und der in Zusammenarbeit mit den kirchlichen Führern vor Ort den schweren Weg der Umkehr gegangen ist, wieder Mitglied der Kirche werden? Ja. Wir als Christen glauben an Vergebung. Kann er aber auch jemals im Leben wieder eine Funktion innehaben, wo er unmittelbar mit Kindern zu tun hat? Ganz gewiss nicht. Vergebung beseitigt die Folgen der Sünde nicht. Der Schutz der Familie ist eines der obersten Prinzipien der Kirche.

Seit 1995 lässt die Kirche auf dem Mitgliedsschein von denjenigen, die ein Kind misshandelt oder missbraucht haben, einen vertraulichen Vermerk anbringen. Zieht so jemand um, bekommt die neue Gemeinde diesen Schein, sodass der Bischof weiß, dass er den Betreffenden nicht mit Kindern zusammenbringen darf. Unseres Wissens war die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage die erste, die ein solches Verfahren angewandt hat. Für uns ist die Familie heilig, und wir schützen die Kinder. Daher gehört die Kirche auch zu den wenigen Glaubensgemeinschaften, die formelle Disziplinarmaßnahmen wegen sexuellen Fehlverhaltens selbst gegen einfache Mitglieder und nicht nur gegen die eigentlichen Geistlichen ergreift.

Das Erfassungsverfahren wendet die Kirche aus grundsätzlicher Überzeugung an. Noch nie ist bislang in den Vereinigten Staaten eine religiöse Gemeinschaft gerichtlich dafür verantwortlich gemacht worden, dass sie ihre Mitglieder vor Missbrauch durch andere Mitglieder nicht schützt. Wenn dies geschähe, würden diese religiösen Gemeinschaften zu einem polizeilichen Werkzeug und ihre Führer zu Vollzugsbeamten. Die Kirche hält Vermerke über ihre Mitglieder frewiliig und nicht kraft Gesetzes oder aus Angst vor einem Prozess fest, sondern weil sie sich um die Familien und Kinder sorgt.

Meldepflicht

Kernpunkt etlicher Gerichtsverfahren ist die Frage, wann und ob der Verdacht auf einen Missbrauch oder einen Missbrauchstäter gemeldet wurde. Die Beamten der Kirche beachten die Landesgesetze, was die Frage betrifft, wann und wie ein Fall von Kindesmissbrauch oder Kindesmisshandlung den Behörden zu melden ist.

Schwieriger ist die moralische Frage, ob ein Bischof den Behörden Informationen über einen Missbrauch weitergeben darf, wenn er diese in Ausübung seines Amtes im Rahmen einer persönlichen Beichte erlangt hat. Abgesehen von der damit verbundenen schwierigen Glaubensfrage meinen einige Kirchen sowie Fachleute, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kinderschänder sich offenbart, um Hilfe zu bekommen, abnimmt, wenn man die Geistlichkeit dazu zwingt, das Beichtgeheimnis preiszugeben. Eher würde der Betreffende sein Fehlverhalten fortsetzen. Das Gegenargument lautet, dass die Strafverfolgung schnell eingreifen müsse, da die Wiederholungsgefahr sehr hoch sei. Eine Übereinstimmung gibt es in dieser schwierigen Frage nicht.

Die Komplexität des Problems lässt sich an einem weiten Spektrum unterschiedlicher Meldegesetze in den einzelnen US-Bundesstaaten ablesen. In 23 Bundesstaaten müssen Geistliche laut Gesetz nur Meldung erstatten, wenn die Angaben nicht unter dem Siegel der Verschwiegenheit gemacht wurden. In diesen Staaten zum Beispiel ist ein Geistlicher, der bei einem vertraulichen Gespräch, wie zum Beispiel einer Beichte, von einem Missbrauch erfährt, gesetzlich nicht verpflichtet, den Behörden Meldung zu erstatten, sondern nur dann, wenn er persönlich Zeuge wird oder aus anderen Gründen den Verdacht auf einen solchen Fall hegt. In neun weiteren Staaten, ist ein Geistlicher in jedem Fall verpflichtet, Kindesmissbrauch zu melden. In den Satzungen der restlichen 18 Bundesstaaten und im Distrikt der US-Hauptstadt Washington wird von Geistlichen gar nicht verlangt, Kindesmissbrauch zu melden.

Die Bischöfe der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage sind dahingehend unterrichtet worden, dass sie zwei Hauptaufgaben haben, wenn sie von einem Fall von Kindesmissbrauch oder Kindesmisshandlung erfahren. Erstens müssen sie das Opfer schützen. Zweitens müssen sie den Täter für sein Tun zur Verantwortung ziehen. Selbst in den Bundesstaaten, wo das Beichtgeheimnis eine Meldepflicht für Geistliche ausschließt, unternehmen die Bischöfe alles, um weiteren Missbrauch zu verhindern. Man gibt sich alle Mühe, den Täter dazu zu bewegen, dass er für sein Tun einsteht – wozu auch gehört, dass er sich den Behörden stellt. Die Tatsache allein, dass ein Mann sich an seinen Bischof gewandt hat, um zu beichten, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein geachteter Führer der Kirche so auf ihn einwirken kann, dass er das Richtige tut.

Gerichtsverfahren

Ist die Kirche schon in Fällen von Kindesmissbrauch vor Gericht zitiert worden? Ja. Die Kirche hat in den vergangenen zehn Jahren ein paar wenige Fälle mit einem Vergleich abgeschlossen, wenn die Sachlage das rechtfertigte. Praktisch in allen Fällen bietet die Kirche den Opfern Beratung an.

Kindesmissbrauch ist aber nicht nur ein Problem der Kirchen. Es ist ein gesellschaftliches Problem, und wie in der übrigen Gesellschaft hat das Wissen um die damit verbundene Komplexität in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage seit Anfang der 1980er-Jahre, als Kindesmissbrauch erstmals als wichtiges Thema wahrgenommen wurde, zugenommen. Seither steckt die Kirche in einem Dilemma. Wie kann sie die Kinder schützen, mit den Übeltätern sinnvoll verfahren und sich dennoch vor Gericht verteidigen, wenn irreführende Anklagen erhoben werden oder solche, die der Sache nach unbegründet sind?

Einige Rechtsanwälte sind in dem Bestreben, sich vor potenziellen Geschworenen besser darzustellen, so weit gegangen, der Kirche vorzuwerfen, sie biete Kinderschändern vorsätzlich einen sicheren Zufluchtsort. Derartige Anschuldigungen sind für Führer wie Mitglieder der Kirche unfassbar und völlig gegenstandslos. Die Vorstellung, dass die Führer der Kirche einen solchen Missetäter in ihrer Mitte dulden und ihre eigenen Kinder dadurch gefährden würden, ist absurd.

Wir möchten das einmal richtigstellen. Jahr für Jahr werden gegen die Kirchen in den Vereinigten Staaten viele hunderte Anklagen wegen Kindesmissbrauchs oder Kindesmisshandlung erhoben. Auch wenn jeder einzelne Fall im Grunde schon einer zu viel ist, entfallen davon nur wenige auf die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage – weit weniger, als man in Anbetracht der über sechs Millionen Mitglieder in den USA erwarten sollte. Ein Grund dafür ist darin zu finden, dass die Kirche das Problem in den vergangenen 20 Jahren energisch angegangen ist. Die meisten heute vorgebrachten Fälle betreffen Missbrauch, der schon lange vor Einführung der derzeitigen Richtlinien und Schulungsprogramme in der Kirche stattfand.

Ein weiterer kritischer Punkt verdient Beachtung. 2002 nahmen die Fälle von Missbrauch durch Priester oder Geistliche landesweit schlagartig zu. Dabei ging es oft um die Vertuschung seitens der jeweiligen Kirche. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wird hingegen so gut wie nie verklagt, weil einer ihrer Bischöfe einen Missbrauch begangen haben soll. Vielmehr geht es bei den Fällen, die der Kirche vorgeworfen werden, in der Regel um Mitglieder, die andere missbrauchen. Oft ist der vermeintliche Missbrauch auch gar nicht auf dem Gelände der Kirche oder in Verbindung mit einer ihrer Aktivitäten geschehen.

Daher verteidigt sich die Kirche in solchen Fällen nicht etwa, weil sie etwas zu verbergen hätte, sondern weil sie etwas Wichtiges zu schützen hat – die Kinder nämlich!

Gottes Wort an die Kirche

Der folgende Auszug stammt aus einer Ansprache, die Präsident Gordon B. Hinckley im April 2002 in Salt Lake City an die Mitglieder der Kirche in aller Welt richtete:

„Derlei ist nicht neu. Man [muss] davon ausgehen, dass es solches schon immer gegeben hat. Es ist äußerst widerwärtig, tragisch und furchtbar. Ich muss leider sagen, dass dieses fürchterliche Übel sehr vereinzelt bei uns vorgekommen ist. So etwas können wir nicht entschuldigen und nicht dulden. Der Herr selbst hat gesagt: ‚Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde.‘ (Matthäus 18:6.)

Das sind sehr deutliche Worte aus dem Munde des Friedensfürsten, des Gottessohnes.

Ich zitiere aus dem Handbuch ‚Anweisungen der Kirche‘: Die Kirche vertritt den Standpunkt, dass Missbrauch bzw. Misshandlung in jedweder Form nicht geduldet werden kann. Wer ... missbraucht oder misshandelt, unterliegt der Disziplinarordnung der Kirche. Er darf keine Berufung in der Kirche erhalten und keinen Tempelschein haben. Selbst wenn gegen jemand, der ein Kind sexuell missbraucht oder körperlich misshandelt hat, kirchliche Disziplinarmaßnahmen ergriffen worden sind und er später wieder gänzlich in die Gemeinschaft aufgenommen bzw. durch die Taufe wieder zugelassen worden ist, dürfen die Führer ihn dennoch nicht in eine Position berufen, in der er mit Kindern oder Jugendlichen zu tun hat, außer die Erste Präsidentschaft genehmigt die Löschung des entsprechenden Vermerks aus seinem Mitgliedsschein.“

‚Bei Misshandlung und Missbrauch ist es die vorrangige Aufgabe der Kirche, den Opfern zu helfen und potenzielle Opfer zu schützen.ʻ

„Mit diesem Problem setzen wir uns nun schon lange auseinander. Wir haben die Bischöfe, Pfahlpräsidenten und andere dringend ermahnt, sich um die Opfer zu kümmern, sie zu trösten, sie aufzubauen, sie wissen zu lassen, dass das Geschehene unrecht war, dass sie selbst keine Schuld trifft und dass es sich nie mehr wiederholen muss.

Wir haben Material dazu veröffentlicht und ein Telefon eingerichtet, wo sich die Beamten der Kirche beraten lassen können, was zu tun ist, und wir bieten professionelle Hilfe über LDS Family Services.

Oft handelt es sich hierbei um Gewaltverbrechen, die unter Strafandrohung stehen. Professionelle Berater, darunter Anwälte und Sozialarbeiter, stehen am Nottelefon zur Verfügung, um dem Bischof oder Pfahlpräsidenten mitteilen zu können, was er in so einem Fall zu tun hat. Im Ausland ist der jeweilige Gebietspräsident zuständig.

Das Werk der Kirche ist ein Erlösungswerk. Darauf lege ich großen Wert. Es geht darum, Seelen zu erretten. Wir wollen sowohl dem Opfer wie dem Täter helfen. Uns liegt das Opfer am Herzen, und wir müssen etwas unternehmen, um ihm zu helfen. Uns liegt auch der Täter am Herzen, aber die Sünde, derer er sich schuldig gemacht haben mag, können wir nicht dulden. Auf Übertretungen folgt eine Strafe. Die staatliche Gerechtigkeit muss ihren Lauf nehmen. Und auch die kirchliche Gerechtigkeit muss ihren Lauf nehmen, was oftmals die Exkommunizierung bedeutet. Angelegenheiten wie diese sind sehr heikel und sehr ernst.

Wir sind uns dennoch bewusst – und werden es stets sein – dass wir, wenn die Strafe abgegolten ist und die Forderungen der Gerechtigkeit erfüllt sind, eine hilfreiche und gütige Hand ausstrecken müssen. Einschränkungen mögen fortbestehen, aber es gibt auch Güte.“

Hinweis an Journalisten:Bitte verwenden Sie bei der Berichterstattung über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bei deren ersten Nennung den vollständigen Namen der Kirche. Weitere Informationen hierzu im Bereich Name der Kirche.